Von rotzfrechen Bands, hinterhältigen Pannenteufeln und dem besten Festivalpublikum aller Zeiten - Protain-Pressesprecher Elmar Herrmann im Interview

Amphi-Festival 2016 im Kölner Tanzbrunnen / Foto: Dunkelklaus
Amphi-Festival 2016 im Kölner Tanzbrunnen / Foto: Dunkelklaus

Endlich! Am kommenden Wochenende startet die Schwarze Szene mit dem E-tropolis-Festival in der Turbinenhalle in Oberhausen in die Festival-Saison 2017. Passend dazu lässt uns Protain-Pressesprecher Elmar Herrmann - zuständig fürs E-tropolis und fürs Amphi - im Gruftboten-Interview einen Blick hinter die Kulissen der beiden Festivals werfen.

 

Erfahrt, wie sich Plakate über Nacht in Luft auflösen, wie man Gruftis aus dem Winterschlaf weckt und weshalb die altehrwürdige Turbinenhalle den perfekten Rahmen für die Brüsseler EBM-Ikonen Front 242 bietet.

 

 

Los geht's:

 

Gruftbote: Elmar, Du bist sowohl für das Amphi-Festival im Kölner Tanzbrunnen zuständig als auch für das wesentliche kleinere E-tropolis in der Turbinenhalle in Oberhausen. Worin besteht für Dich der größte Unterschied, abgesehen von den Besucherzahlen?

 

Elmar: In der Tat unterscheiden sich die beiden Festivals recht deutlich von einander. Das Amphi-Festival ist unser großes Sommer-Open-Air-Festival, bei dem wir für die gesamte schwarze Szene ein bunt gemischtes Programm aus Gothic, Darkwave und Electro aufbieten. Vor allem musikalisch ist das Amphi deshalb sehr viel weiter gefasst als das E-tropolis, welches seinerseits sehr gezielt den elektronischen Teil der Szene anspricht und als reine Indoor-Veranstaltung funktioniert. Beim E-tropolis findet buchstäblich das gesamte Geschehen unter einem Dach statt, beim Amphi unter freiem Himmel, auf dem Schiff oder im Theater. Das E-tropolis-Festival ist (wie einst das Zita Rock) deutlich spezifischer. Das Festival tobt sich innerhalb der düster-elektronischen Sparte aus, mit all ihren Schattierungen und stilistischen Ausdrucksformen.

 

Amphi-Festival 2015 in der Kölner Lanxess Arena / Foto: Dunkelklaus
Amphi-Festival 2015 in der Kölner Lanxess Arena / Foto: Dunkelklaus

Gruftbote: Mit dem Etropolis startet die Gothic-Szene in die alljährliche Festivalsaison, wenn auch zunächst noch Indoor. Ist es schwer, die Gruftis aus dem Winterschlaf zu wecken? Was muss ein Festival bieten, damit das klappt?

 

Elmar: Hmm... ist nicht der Winter mit seinen kurzen, kühlen Tagen ohnehin die perfekte Jahreszeit für Geschöpfe der Nacht? Zumindest in Sachen Romantik und Melancholie macht dem Winter so schnell keiner etwas vor. Aufwecken müssen wir daher für das E-tropolis inzwischen wohl niemanden mehr. „Bässer-Härter-Lauter“ – bei diesen Worten weiß heute ein jeder, was das Stündlein geschlagen hat. Zumal in diesem Jahr mehr als ein Dutzend Clubs mit Warm-Up-Partys vom nahenden E-tropolis-Festival kündeten.

 

Das E-tropolis-Festival wäre aber vermutlich nicht das, was es heute ist, wenn es nicht mit einer hohen inhaltlichen Kontinuität und Nähe zur Community aufwarten würde. Unsere Festivalbesucher sind über die Jahre eine eingeschworene Gemeinschaft geworden, zu der jedes Jahr neue Mitglieder hinzustoßen! Man kennt sich untereinander – oft gar seit Jahrzehnten. Dieses Treffen von Freunden und Bekannten ist immer ein wichtiger Bestandteil des Ganzen. Neben attraktiven Bands wahrscheinlich sogar der wichtigste. Insofern muss die Atmosphäre vor Ort für unsere Festivalbesucher natürlich stimmen. Das leibliche Wohl und Rückzugsmöglichkeiten zum Plaudern oder „mal Abschalten“ sind genauso wichtig, wie freundliche Mitarbeiter überall in den Hallen beziehungsweise an den Ständen. Nur wo man sich als Besucher zu Hause fühlt, kann man ungestört den Alltag loslassen und Spaß haben! Deshalb beziehen wir das Publikum regelmäßig mit ein und lassen es über unsere Besucherumfragen sehr direkt an der Gestaltung des Festivals teilhaben. In unserer außergewöhnlich familiären Szene ist die Möglicheit Einfluss zu nehmen von unschätzbarer Bedeutung!

 

Gruftbote: Beim E-tropolis ist das Programm unheimlich dicht gepackt, und das auch noch an einem einzigen Tag, hinzu kommt die Warm-Up-Party am Abend vorher. Auch das Festival-Publikum wird ja nicht jünger. Wäre es denkbar, das E-tropolis vielleicht in Zukunft zweitägig laufen zu lassen?

 

Elmar: Eine Erweiterung des E-tropolis-Festivals auf zwei Tage ist derzeit überhaupt kein Thema. Ohne einen triftigen Grund läge darin kein Segen, denn viele Kosten der Veranstaltung würden sich durch eine Erweiterung nahezu verdoppeln. Folglich würde dann auch der Ticketpreis spürbar ansteigen. Ganz zu schweigen vom erhöhten Übernachtungsaufwand für Festivalbesucher von außerhalb. In der aktuellen Kompaktheit liegt ja auch ein gewisser Reiz. Man ist immer in Bewegung, es ist immer etwas los. Es wird nie langweilig! Da sich aber viele Besucher, vor allem von außerhalb, schon am Freitagabend in Oberhausen einquartieren, liegt es nahe zur Einstimmung vorab eine offizielle Pre-Party zu veranstalten, welche 2017 erstmals in der Turbinenhalle 2 stattfindet.

 

Covenant, Amphi-Festival 2016 / Foto: Dunkelklaus
Covenant, Amphi-Festival 2016 / Foto: Dunkelklaus

Gruftbote: Auf welche Bands freust Du Dich dieses Jahr am meisten und warum - und hast Du überhaupt Zeit, sie selbst anzuschauen?

 

Elmar: Highlights hat natürlich jeder seine eigenen. Es mag etwas ungewöhnlich klingen, aber meine persönlich größte Vorfreude gilt neben Covenant, die Ende letzten Jahres eine famose Tour absolvierten, vor allem unseren anderen beiden Schweden im Programm: Cryo und Wulfband. Dem Sound von Cryo wohnt eine besonders spannende Grundstimmung inne. Unterkühlt, anspruchsvoll, ein bisschen Retro und doch tanzbar, ohne es auf Teufel komm raus zu darauf anzulegen. Ich schätze das elegante Understatement. Wulfband dagegen präsentieren sich diametral dazu. Frech wie Rotz und vor allem extrem durchgeknallt. Es kommt selten vor, dass eine Openerband von unseren Festivalbesuchern auf Facebook mit gehörigen Vorschusslorbeeren bedacht wird. Das könnte ein verdammt spannendes E-tropolis-Debüt werden, das ich mir nur höchst ungern entgehen lassen würde, selbst wenn es zeitlich wohl nur für einen kurzen Moment des Hineinschnupperns reicht.

 

Über den individuellen Tellerrand geschaut, dürfte es auch bei Solar Fake, Faderhead, Centhron, [X]-Rx und Agonoize ordentlich zur Sache gehen. Solitary Experiments hatten schon vor zwei Jahren beinahe die Kapazität der Halle gesprengt, und wenn es um gediegenen Electrosound geht, ist man bei Amnistia, The Invincible Spirit, In Strict Confidence oder Neuroticfish sehr gut aufgehoben.

 

Last but not least bin ich überzeugt, dass es kaum eine bessere Location für ein FRONT 242 Konzert gibt, als die Turbinenhalle 1. Das perfekte Ambiente für DIE EBM-Legende schlechthin. Da trifft Tradition auf Tradition. Und wie ich finde, ist der Auftritt der Altmeister irgendwo auch ein Ritterschlag für das E-tropolis-Festival. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.

 

Gruftbote: Wenn die Organisation eines Festivals so richtig gut ist, bekommt der Zuschauer davon fast gar nichts mit, weil ja alles hübsch reibungslos läuft. Kannst Du mal verraten, welche Probleme hinter den Kulissen so lauern und welche (vielleicht auch lustigen) Pannen es vielleicht mal gab?

 

Elmar: Beim E-tropolis-Festival sind wir zum Glück bisher von größeren Ausfällen verschont geblieben. Wenn der Pannenteufel zuschlägt, tut er das ohnehin unvermittelt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit immer dort, wo man es am wenigsten erwartet. Diesbezüglich ist der Geselle recht einfallsreich. Man denke da nur an den legendären Deckenputz-Vorfall beim Amphi-Festival vor einigen Jahren oder die berühmt-berüchtigte Energy-Drink-Dose, die während eines Christmas Ball-Festivals in Hannover mal von der Bühne aus derart unglücklich gegen die Balustrade des Capitols knallte, dass sie anschließend in perfekter Final-Destination-Manier das Hauptmischpult der Tonanlage schachmatt setzte. Natürlich kann es auch immer mal vorkommen, dass Airlines das Gepäck einer ausländischen Band verbummeln und man dann ad hoc improvisieren muss, um die Musiker, vorzeigbar gekleidet, doch noch auf die Bühne zu schicken, ohne dass jemand etwas bemerkt.

 

Manchmal, wie beim E-tropolis 2015, treibt der Pannenteufel aber auch nur kleine Späße. Zum Beispiel, indem er uns eine Charge Bändchen für VIPs und den Besuchereinlass lieferte, die derart widerspenstig perforiert waren, dass wir sprichwörtlich bis eine Minute vor Einlass noch im Schweiße des Angesichts die Bündel auseinander rupften, stets darauf bedacht, nicht allzu viele Exemplare zu zerstören, angesichts der Kraft die notwendig war, um jene siamesischen Bändchen irgendwie voneinander zu trennen.

 

Eine andere Panne beim E-tropolis betraf mal die Plakatierung. Als wir 2014 das erste Mal in Oberhausen gastierten, machten wir (unsere damalige Auszubildende und ich) am Freitag eine mehrstündige Plakatierungsrunde durch die Turbinenhalle. Wir waren sehr akribisch und gewissenhaft vorgegangen, nur um am nächsten Morgen festzustellen, dass die Putzkolonne rund zwei Drittel der Plakate über Nacht entfernt und im Abfall entsorgt hatte. Das tat schon ein bisschen weh. Vor allem im Herzen, dem Kreuz und in den Füßen. ;)

 

Gruftbote: Heutzutage wir ja viel gemeckert, gerne auch vor, während und nach Festivals, Lob gibt es auch, aber weniger überschwänglich, scheint es. Ärgert Dich das oder spornt es eher an?

 

Elmar: Nun, Kritik ist grundsätzlich nichts Schlimmes. Input von außen hilft uns immer wieder dabei, die Geschicke des Festivals in veränderte Bahnen zu lenken, die noch näher am Fan sind oder den Komfort erhöhen. Letzten Endes sollen sich unsere Besucher auf dem Festival wohlfühlen und ausgelassen feiern.

 

Hin und wieder findet man im Netz aber auch haltlose Kritik oder bloße Trollversuche. Vor allem letztere können schon mal für kollektives Haareraufen sorgen, speziell wenn wieder jemand dem Affen Zucker gibt und binnen kürzester Zeit eine Diskussion entbrennt, die von sachlicher Argumentation ähnlich weit entfernt ist wie Sand von den Gipfeln des Himalaya.

 

Im Laufe der Jahre haben wir gelernt zwischen Lob, angebrachter Kritik und plumpem Netz-Getrolle zu unterscheiden und daraus die passenden Schlüsse zu ziehen. Als Veranstalter verfügen wir über ganz andere Einblicke in die organisatorischen Zusammenhänge (manchmal auch Zwänge) des Festivals, welche den meisten Besuchern verborgen bleiben und leider nur sehr schwer korrekt wie breitenwirksam vermittelbar sind. Insofern geht die öffentliche Diskussion grundsätzlich in Ordnung. Im selben Maß wie Kritik einen antreibt das nächste Festival noch runder zu gestalten, wird jedes Lob zum Kraftstoff der einen näher zum Ziel bringt!

 

Amphi-Festival 2016 / Foto: Dunkelklaus
Amphi-Festival 2016 / Foto: Dunkelklaus

Gruftbote: Wenn Du Dir den perfekten Festival-Gast backen könntest, wie sollte er sein beziehungsweise wie sollte er sich verhalten und was sollte er unbedingt unterlassen?

 

Elmar:  „Wozu noch backen, wenn das perfekte Festivalpublikum existiert doch schon!?“ Nein, ernsthaft! Kaum eine andere Szene ist in der Lage, so harmonisch, rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst miteinander zu feiern wie die schwarze Szene. Gewalt, Randale oder Drogenexzesse besitzen Seltenheitswert, kein Schubsen, kein Drängeln, stattdessen steht das Gemeinschaftsgefühl umso mehr im Vordergrund. Man kennt sich, man schätzt sich oder geht sich stillschweigend aus dem Weg! Das finde ich schon ziemlich einzigartig in der Welt. Darauf kann jeder Einzelne mit Recht stolz sein!

 

Gruftbote: Nach dem Etropolis ist vor dem Amphi, und nach dem Amphi ist vor dem Etropolis. Machst Du eigentlich auch mal Urlaub?

 

Elmar: Na klar! Meistens nach dem E-tropolis, vor dem Amphi und manchmal sogar nach dem Amphi vor dem E-tropolis. Aber nur wenn ich auch artig war! ;)